Schlagwort: Bitterernst

Humorfreie Prosa und Lyrik

Heinzelmännchen reloaded

Heinzelmännchen reloaded
Sammlung von satirischen Kurzgeschichten im Taschenbuchformat

Aus dem Inhaltsverzeichnis:
– Heinzelmännchen reloaded
– Sponsorentorte
– Zeitmaschine
– Mein Trauma
– Nouvelle Tresor
– Sonntag am Fluß
– Waffeleisen
– Der Dom ist verkauft
– Wir erwarten Henry
– Bestseller
– Pedro ist tot
– Migrantenwortwechsel
– Rheinische Apokalypse

Jetzt im Buchhandel
ISBN 9783746037967
8,50 €
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Wer, wenn nicht wir?

Lasst uns gedenken

der Mauern, die trennen,

der Toten, die keine Rettung kennen.

Wer, wenn nicht wir?

 

Lasst uns gedenken,

des Unrechts wider Menschen,

Verleumdung, Schändung, Entehrung

Entrechtung, Entbehrung

Wer, wenn nicht wir?

Lasst uns gedenken,

der Kriege, Vertreibung

Mord und Verlust,

Wer, wenn nicht wir?

 

Lasst und kämpfen,

für eine Welt ohne Grenzen,

für Mauern, die fallen,

Hunger zu stillen,

für freien Willen.

Wer, wenn nicht wir?

 

Aus dem Tempel hinaus,

die selbstgefälligen Ignoranten,

Schacherer mit Rechten, Brandstifter, Rattenfänger. 

Lasst Euch nicht blenden, 

Solange Menschen verenden.

Wir müssen es wissen!

Wer, wenn nicht wir?

© Jo Hagen 2016

Fischsterben

Nach langer Zeit wieder einmal der Besuch im Dorf.  Eng zusammengerückt die Häuser der Bauern und Taglöhner. Das Schloss, die Mühle, das Wehr. Über dem Fluss die Mühle, in der die Turbinen Tag und Nacht wimmern. Unaufhörlich, das ganze Jahr. Wenn ich an das Dorf denke, habe ich immer das wimmern im Ohr. Nur bei Hochwasser verstummen die Turbinen. Dann rauschen die Wassermassen direkt über das Wehr.

Der graugrüne Fluss gleitet wie eine riesige verschiebbare Bühne dahin, bis der eiserne Rechen die Fläche wie ein Eierschneider zerteilt und die tosende Flut in seinen Schlund saugt, dann auf die rotierenden Schaufeln der Turbinenräder prallen lässt und unterhalb der Mühle als Gurgelndes Strudelndes, seine Richtung Suchendes wieder ausspeit.

Flaschen drehen sich trunken vor dem Rechen, ein verkanteter Ast steckt zwischen den eisernen Streben, ein Holzstamm der unaufhörlich Tauchversuche macht: auf und ab, auf und ab. 

Weisst Du noch damals, als wir hier standen und die ersten toten Fische angespült wurden? Zwei, drei, acht, zehn. Kilometerweit oberhalb, im Bahnschwellenwerk, hatten sie die Tanks für das Imprägniermittel gespült. Zwanzig, vierzig, sechzig. Den ganzen Tag haben wir Fische herausgezogen. Halbtote, gekrümmte, müde ihre weissen Bäuche nach oben schwimmende Fischleiber. Gelähmt hatten sie keine Kraft gegen die Strömung anzukommen und wurden mitgerissen. In den Orten oberhalb und unterhalb das Gleiche. Hundert, hundertzwanzig – irgendwann haben wir aufgehört zu zählen. Das ganze Dorf und die Angler aus dem Angelverein haben Wannen angeschleppt, die mit frischem, sauberem Wasser gefüllt wurden. Noch im Dunklen, bei Scheinwerferlicht haben wir verzweifelt versucht Fische zu retten; doch irgendwann wussten wir alle, wir schaffen es nicht. Aber einfach nach Hause gehen?  

Kein Fisch hat überlebt. Das Gift war zu stark und blockierte die Nerven, die Kiemen rosa blutig.  Erst gegen Mitternacht hörte es auf. Die lebensspendenden Schläuche mit Frischwasser und Sauerstoff konnten die wenigen, nur noch schwach zuckenden, Fische nicht retten und wurden abgedreht.

Der Journalist von der Lokalzeitung machte am nächsten Tag Fotos von uns und einer Wanne mit toten Fischen. Prachtexemplare, Waller und Hechte dabei, die waren… riesig. Die Turbine wimmerte dazu ihren Totengesang.

© Jo Hagen 15.09.2010

Am seidenen Faden

Der seidene Faden ist die Seele des Menschen. C.G. Jung

Es war in der dritten Klasse, als wir ein Aufsatzthema als Hausaufgabe bekamen. Damals entdeckte ich meine Fähigkeiten und schrieb, in kindlicher Naivität, darüber, wie ich meinem ertrinkenden Freund, der von einer kleinen Brücke über den reißenden Bach gestürzt war, lebensrettend zu Hilfe kam. In meiner Gedankenwelt reichte ein Bindfaden, den ich in meiner Hosentasche mitführte, aus, mich damit abzuseilen und meinen Freund zu retten.

Als ich den Aufsatz stolz meiner Mutter zeigte, lachte sie. Sowas kann man nicht schreiben, war der Kommentar. Das reichte ihr aber noch nicht. Beim Essen las sie den Text den anderen Familienmitgliedern vor, die sich ebenfalls köstlich über meinen Aufsatz amüsierten. Mir fehlte als Kind jedes Verständnis für das Lachen und es gab auch keine Erklärung dafür. Einziger Kommentar: Aber Fantasie hat er ja.

In diesen Zeiten konnte man mit Fantasie keine Mahlzeiten bezahlen. Ich musste einen neuen Aufsatz schreiben. Es hat lange gedauert, bis ich wieder etwas mit Freude geschrieben habe.

© Jo Hagen 2018

Lügenbrücke

Menschen haben Schwächen. Teils sind sie in den Genen verankert, teils werden sie durch Ereignisse oder durch Erziehung geprägt. Eine dieser Schwächen ist die Lüge. Zu lügen, ist wie über eine Brücke schreiten, und an ein anderes Ufer zu treten, von dem man nicht zurück kann, ist man einmal der Lüge überführt. 

Politiker lügen nicht, sie sagen die Unwahrheit. Am Telefon benutzt man eine Notlüge, der Berliner lügt auch nicht, er schwindelt. Lassen wir einmal den pathologischen Lügner beiseite, so sind auch Seemannsgarn und der Scherz, denken Sie an den Aprilscherz, Lügen, für die wir unsere Abstufungen kennen, auch wenn es immer auf das Gleiche, nämlich die Lüge hinausläuft. 

Mit den verschiedenen Ausprägungen der Verschleierungstaktik wissen Pädagogen, Psychologen und Kriminalisten umzugehen. Der Eine benutzt den Lügendetektor, der Andere beobachtet sein Gegenüber ob ihn Mimik oder Gestik verraten. 

Mit der Lüge habe ich meine eigene Erfahrung. Weiterlesen

© 2024 Jo Hagen

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