Das Opernhaus in Chemnitz war nach langem Umbau, mit Baustopp und Neuplanung, weil die Wende neue Möglichkeiten eröffnete, im Dezember 1992 fertig gestellt. Seit 1991 hatten wir an der Kommunikationskampagne gearbeitet. Die Stadt war in Erwartung der ersten Premiere im neuen Haus. Die Stadt und das Land Sachsen waren Stolz auf die neue Oper, die in den alten Außenmauern erstanden war. Die Stadt und das Land hatten ein Symbol des Neuanfangs.
Die Plakate für den Parsifal waren geklebt, die eintausend Festgäste waren geladen, die Journalisten aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland hatten sich angemeldet. Da kam mir eine Idee: Neben dem kalten Büffet zur Eröffnungsfeier würde sich noch eine mehrstöckige repräsentative Torte, vielleicht obenauf mit einem kleinen Opernhaus, sehr gut machen. Im Kontext der gesamten Maßnahmen ein kleines, aber liebenswertes Detail.
Spontan griff ich zum Telefon und fragte beim Meister der Konditoreninnung an. Meine Idee fand die nötige Gegenliebe und ein persönliches Gespräch wurde vereinbart. Meine Erwartungen wurden in dem Gespräch noch weit übererfüllt, denn der Konditorenmeister war bereit, die Torte noch größer und schöner, mit noch mehr Stockwerken und einem Opernhaus in respektvoller Größe aus Marzipan anzufertigen.
Meine bange Frage, was das kosten würde, beantwortete er damit, dass er das als Übungsaufgabe für seine Lehrlinge sehe und die Torte als Sponsoring verstehe… ein Stein fiel mir vom Herzen, … aber er wolle ein Foto mit sich und einer Persönlichkeit, die diese Torte offiziell anschneidet.
Ich versprach ihm, ich wolle mich darum kümmern, die Zeit für schriftliche Anfragen aber zu weit fortgeschritten sei, ich darum am Eröffnungsabend eine entsprechende Person finden müsse. Wir waren handelseinig.
Am Eröffnungsabend zeigte Sachsen, was es an neuem Glanz und Gloria zu bieten hatte. Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur gaben sich ein Stelldichein. Damen mit edlen Roben und glitzernd bis gleissendem Schmuck, die Friseure hatten Überstunden geschoben. Die Herren standen in ihren dunklen Anzügen etwas gerader, als sonst und zogen die Bäuche ein. Der Chemnitzer Oberbürgermeister hatte einen neuen Smoking in sächsischem Grün bekommen, auf dem die Amtskette besonders gut zur Geltung kam.
Und dann kam seine Majestät König Kurt, der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf. Blitzlichter flammten auf, alle Augen richteten sich auf ihn und seine Frau, die Mitregentin. Ich ging auf Biedenkopf zu und begrüßte ihn. Dann bat ich ihn und seine Frau – bei Biedenkopf musste man immer seine Frau mit ins Boot holen, sonst lief gar nichts- nach der Parsifal-Premiere unsere Torte, die bereits in der oberen Etage des Vestibüls stand, anzuschneiden. Biedenkopf lehnte ab, er sei etwas indisponiert und fahre, wenn der Vorhang gefallen wäre, gleich heim. Dann ging er weiter, drehte sich aber auf den untersten Stufen der großen Freitreppe nochmals um und mit einer geringschätzigen, wegwerfenden Handbewegung sagte er zu mir „Kann Frau Merkel machen!“
Frau Merkel, als Referentin im Bundeskanzleramt, unscheinbar und für mich damals eine unbefriedigende Notlösung, machte es!
In einer Konditorei in Chemnitz hängt ein Foto mit einem Zeitungsausschnitt, auf dem der Inhaber mit der heute amtierenden Bundeskanzlerin beim Anschneiden einer Torte im Dezember 1992 zu sehen ist. Sponsoring zahlt sich eben irgendwann aus!
© Jo Hagen 2009
Diese Geschichte wurde am 26.12.2010 in der Sendung >Spielart< des WDR, gesprochen durch Lutz Göhnermeier, ausgestrahlt. Ich danke dem WDR-Sprecherensemble für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung
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