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Passt in keine Schublade

Schusterpfanne – Späte Leidenschaft

In letzter Zeit erinnere ich mich immer öfter eines Mittagsgerichtes aus meiner Kinderzeit. Irgendwann damals habe ich es das letzte Mal gegessen. Nie wieder habe ich je davon gehört, nie habe ich ein Rezept gefunden. Noch im vergangenen Jahr war Google völlig ratlos. Doch jetzt erinnere ich mich genau. Ein- bis zweimal im Jahr gab es bei uns Schusterpfanne. Mein Vater brach ob dieses Mittagsereignisses in helle Freude aus, rieb sich die Hände und rief:  »Heute gibt´s Schusterpfanne!« Die Begeisterung der Anderen hielt sich scheinbar in Grenzen, denn mir sind keine ebensolche Begeisterungsrufe anderer Familienmitglieder in Erinnerung. 

Schusterpfanne – das war ein Eintopf, der im Gänsebräter direkt aus dem Backofen auf den Tisch kam. Gerne hätte ich heute meine Großmutter oder meine Mutter noch gefragt, was es mit der Schusterpfanne auf sich hatte. Kartoffeln, Birnen und Rindfleisch, zähes Rindfleisch versteht sich, auf dem ich als Kind verzweifelt herumgekaut habe. „Du bleibst so lange am Tisch sitzen, bis der Teller leer ist.“ hieß da die Ermahnung, insbesondere wenn es Schusterpfanne gab. Zähes, faseriges Rindfleisch, das auch nach langem Aufenthalt im Backofen und saftiger Umgebung von Winterbirnen und Kartoffeln kaum nachgab. Ich kann mich jedenfalls an Tage erinnern, an denen ich, alleine am längst abgeräumten Tisch sitzend, mit meinen kleinen Zähnen versucht habe, das Rindfleisch in schluckbare Dimensionen zu zerkleinern. Doch jeder Versuch scheiterte.  

Sinniert habe ich oft darüber, warum dieses Gericht Schusterpfanne hieß. Mir ist bis heute keine andere Erklärung dafür eingefallen, als die, das arme Schuster in diesem Gericht verzweifelt versucht haben, Schuhsohlen genießbar zu machen, weil sie sich Fleisch nicht leisten konnten. Warum aber dieses Gericht den Siegeszug bis in unsere Familie geschafft hat, in der es, gemäß Ahnenforschung, nie auch nur einen Schuster gegeben hat, ist mir nie klar geworden.

Mit den Jahren habe ich Gerichte kennen gelernt, von denen meine Großmutter nichts ahnte. Als leidenschaftlicher Hobbykoch probiert man dies und jenes aus, nimmt Rezeptvorschläge, aus den beim Friseur und im Wartezimmer liegenden bunten Blättern, auf, und versucht so seine Weltläufigkeit zuhause unter Beweis zu stellen. Darunter befinden sich auch ausgefallenen Rezepte mit Zutatenkombinationen, die zunächst einen Widerspruch darstellen. Doch die eigenwillige  Kombination von Kartoffelstückchen und Birnenviertel… na ja, also die Birnen bringen den Saft, den die Kartoffeln aufnehmen, das Rindfleisch, man könnte ja mal etwas mehr investieren und ein gutes Stück kaufen, das bleibt dann schön saftig. Ich würde es vorher anbraten, wegen der Röstaromen. Vielleicht könnte es auch ein Stück Kassler – natürlich Kassler, das passt doch prima. Noch die Birnen mit ein paar Nelken spicken – Richtig, jetzt erinnere ich mich – Kümmel schwamm auch in der Brühe, also den könnte man ja mahlen, vielleicht dann noch etwas Majoran. Hatte ich schon gesagt, dass natürlich Salz und -der selbstverständlich richtige- Pfeffer reingehören? Und die Sache mit dem Gänsebräter ist keine schlechte Idee, Römertopf ginge auch, vielleicht bei 180 Grad eine dreiviertel Stunde….mmmh. Also, morgen probiere ich es aus, sofern ich die säuerlichen Winterbirnen bekomme…

Und einen, der veränderten Handwerkslandschaft Rechnung tragenden, Namen habe ich auch schon: Mr. Minute´s Lunch.

© Jo Hagen 2008

Heinzelmännchen reloaded

Heinzelmännchen reloaded
Sammlung von satirischen Kurzgeschichten im Taschenbuchformat

Aus dem Inhaltsverzeichnis:
– Heinzelmännchen reloaded
– Sponsorentorte
– Zeitmaschine
– Mein Trauma
– Nouvelle Tresor
– Sonntag am Fluß
– Waffeleisen
– Der Dom ist verkauft
– Wir erwarten Henry
– Bestseller
– Pedro ist tot
– Migrantenwortwechsel
– Rheinische Apokalypse

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ISBN 9783746037967
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Sponsorentorte

1992 Frau Merkel schneidet bei der Eröffnung des Opernhauses in Chemnitz eine Torte an.

1992 Frau Merkel schneidet bei der Eröffnung des Opernhauses in Chemnitz eine Torte an. © Foto: Wuschansky

Oktober 2017: Jo Hagen trifft erneut Frau Merkel – diesmal bei Madame Tussaud

Oktober 2017: Jo Hagen trifft erneut Frau Merkel – diesmal bei Madame Tussaud in London

Das Opernhaus in Chemnitz war nach langem Umbau, mit Baustopp und Neuplanung, weil die Wende neue Möglichkeiten eröffnete, im Dezember 1992 fertig gestellt. Seit 1991 hatten wir an der Kommunikationskampagne gearbeitet. Die Stadt war in Erwartung der ersten Premiere im neuen Haus. Die Stadt und das Land Sachsen waren Stolz auf die neue Oper, die in den alten Außenmauern erstanden war. Die Stadt und das Land hatten ein Symbol des Neuanfangs. 

Die Plakate für den Parsifal waren geklebt, die eintausend Festgäste waren geladen, die Journalisten aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland hatten sich angemeldet. Da kam mir eine Idee: Neben dem kalten Büffet zur Eröffnungsfeier würde sich noch eine mehrstöckige repräsentative Torte, vielleicht obenauf mit einem kleinen Opernhaus, sehr gut machen. Im Kontext der gesamten Maßnahmen ein kleines, aber liebenswertes Detail. 

Spontan griff ich zum Telefon und fragte beim Meister der Konditoreninnung an. Meine Idee fand die nötige Gegenliebe und ein persönliches Gespräch wurde vereinbart. Meine Erwartungen wurden in dem Gespräch noch weit übererfüllt, denn der Konditorenmeister war bereit, die Torte noch größer und schöner, mit noch mehr Stockwerken und einem Opernhaus in respektvoller Größe aus Marzipan anzufertigen.

Meine bange Frage, was das kosten würde, beantwortete er damit, dass er das als Übungsaufgabe für seine Lehrlinge sehe und die Torte als Sponsoring verstehe… ein Stein fiel mir vom Herzen, … aber er wolle ein Foto mit sich und einer Persönlichkeit, die diese Torte offiziell anschneidet. 

Ich versprach ihm, ich wolle mich darum kümmern, die Zeit für schriftliche Anfragen aber zu weit fortgeschritten sei, ich darum am Eröffnungsabend eine entsprechende Person finden müsse. Wir waren handelseinig.

Am Eröffnungsabend zeigte Sachsen, was es an neuem Glanz und Gloria zu bieten hatte. Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur gaben sich ein Stelldichein. Damen mit edlen Roben und glitzernd bis gleissendem Schmuck, die Friseure hatten Überstunden geschoben. Die Herren standen in ihren dunklen Anzügen etwas gerader, als sonst und zogen die Bäuche ein. Der Chemnitzer Oberbürgermeister hatte einen neuen Smoking in sächsischem Grün bekommen, auf dem die Amtskette besonders gut zur Geltung kam. 

Und dann kam seine Majestät König Kurt, der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf. Blitzlichter flammten auf, alle Augen richteten sich auf ihn und seine Frau, die Mitregentin. Ich ging auf Biedenkopf zu und begrüßte ihn. Dann bat ich ihn und seine Frau – bei Biedenkopf musste man immer seine Frau mit ins Boot holen, sonst lief gar nichts- nach der Parsifal-Premiere unsere Torte, die bereits in der oberen Etage des Vestibüls stand, anzuschneiden. Biedenkopf lehnte ab, er sei etwas indisponiert und fahre, wenn der Vorhang gefallen wäre, gleich heim. Dann ging er weiter, drehte sich aber auf den untersten Stufen der großen Freitreppe nochmals um und mit einer geringschätzigen, wegwerfenden Handbewegung sagte er zu mir „Kann Frau Merkel machen!“

Frau Merkel, als Referentin im Bundeskanzleramt, unscheinbar und für mich damals eine unbefriedigende Notlösung, machte es! 

In einer Konditorei in Chemnitz hängt ein Foto mit einem Zeitungsausschnitt, auf dem der Inhaber mit der heute amtierenden Bundeskanzlerin beim Anschneiden einer Torte im Dezember 1992 zu sehen ist. Sponsoring zahlt sich eben irgendwann aus!

© Jo Hagen 2009

Diese Geschichte wurde am 26.12.2010 in der Sendung >Spielart< des WDR, gesprochen durch Lutz Göhnermeier, ausgestrahlt. Ich danke dem WDR-Sprecherensemble für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung

Hier reinhören:

Fischsterben

Nach langer Zeit wieder einmal der Besuch im Dorf.  Eng zusammengerückt die Häuser der Bauern und Taglöhner. Das Schloss, die Mühle, das Wehr. Über dem Fluss die Mühle, in der die Turbinen Tag und Nacht wimmern. Unaufhörlich, das ganze Jahr. Wenn ich an das Dorf denke, habe ich immer das wimmern im Ohr. Nur bei Hochwasser verstummen die Turbinen. Dann rauschen die Wassermassen direkt über das Wehr.

Der graugrüne Fluss gleitet wie eine riesige verschiebbare Bühne dahin, bis der eiserne Rechen die Fläche wie ein Eierschneider zerteilt und die tosende Flut in seinen Schlund saugt, dann auf die rotierenden Schaufeln der Turbinenräder prallen lässt und unterhalb der Mühle als Gurgelndes Strudelndes, seine Richtung Suchendes wieder ausspeit.

Flaschen drehen sich trunken vor dem Rechen, ein verkanteter Ast steckt zwischen den eisernen Streben, ein Holzstamm der unaufhörlich Tauchversuche macht: auf und ab, auf und ab. 

Weisst Du noch damals, als wir hier standen und die ersten toten Fische angespült wurden? Zwei, drei, acht, zehn. Kilometerweit oberhalb, im Bahnschwellenwerk, hatten sie die Tanks für das Imprägniermittel gespült. Zwanzig, vierzig, sechzig. Den ganzen Tag haben wir Fische herausgezogen. Halbtote, gekrümmte, müde ihre weissen Bäuche nach oben schwimmende Fischleiber. Gelähmt hatten sie keine Kraft gegen die Strömung anzukommen und wurden mitgerissen. In den Orten oberhalb und unterhalb das Gleiche. Hundert, hundertzwanzig – irgendwann haben wir aufgehört zu zählen. Das ganze Dorf und die Angler aus dem Angelverein haben Wannen angeschleppt, die mit frischem, sauberem Wasser gefüllt wurden. Noch im Dunklen, bei Scheinwerferlicht haben wir verzweifelt versucht Fische zu retten; doch irgendwann wussten wir alle, wir schaffen es nicht. Aber einfach nach Hause gehen?  

Kein Fisch hat überlebt. Das Gift war zu stark und blockierte die Nerven, die Kiemen rosa blutig.  Erst gegen Mitternacht hörte es auf. Die lebensspendenden Schläuche mit Frischwasser und Sauerstoff konnten die wenigen, nur noch schwach zuckenden, Fische nicht retten und wurden abgedreht.

Der Journalist von der Lokalzeitung machte am nächsten Tag Fotos von uns und einer Wanne mit toten Fischen. Prachtexemplare, Waller und Hechte dabei, die waren… riesig. Die Turbine wimmerte dazu ihren Totengesang.

© Jo Hagen 15.09.2010

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